Ein uraltes Notebook erwacht zu neuem Leben
auch bekannt als Mitac 5033 oder Siemens Fujitsu Litenote
Baujahr: ca. 1998
Ausstattung:
- 12-Zoll-Display mit 800x600 Punkten
- AMD K6-2 Prozessor mit 333 MHz
- 64 MByte Arbeitsspeicher
- IDE-Notebookplatte mit 3 GByte Kapazität
- Trident-Grafik mit 2 MByte Speicher (abgezwackt vom RAM)
- CD-Laufwerk nur Lesen
- Infrarot-Port
Anschlüsse:
Parallel-Port, Com-Port, 1 mal USB 1.1, 1 mal PS2 für Maus oder Tastatur, VGA für Zweitmonitor, Audio in, Audio out, Fach für Modem, PCMCIA-Slot für 2 Karten
Dieses Notebook wollte ich versuchshalber mal wieder zum Leben erwecken und das natürlich mit Linux. Da gab es nur eine Schwierigkeit: es war keine Netzwerkschnittstelle vorhanden (siehe Fotos). Zur Zeit der Herstellung des Notebooks war DSL ein Fremdwort, damals war es normal, per Modem Verbindung mit der Welt aufzunehmen. Auch mein alter PC hatte dafür eine ISDN- und keine Ethernet-Karte.
Da fiel mir ein, dass noch irgendwo ein Fritz-Stick rumlag, also eine WLAN-Gegenstelle für USB. Dumm nur, dass es dafür keinen Linux-Treiber gibt, aber das Ding lässt sich auch per Ndiswrapper zur Arbeit bewegen (der Ndiswrapper ermöglicht den Betrieb von Geräten mit deren Windows-Treiber).
Zweite Schwierigkeit: die Festplatte mit ihren 3 kümmerlichen GByte fasst keine Vollinstallation einer Linux-Version, wie ich sie üblicherweise verwende und die 64 MByte Arbeitsspeicher verhindern zuverlässig den Betrieb mit einem neueren Kernel. Aber dafür gibt es ja spezielle Linux-Versionen.
Ich lud mir deswegen Damn Small Linux (DSL) aus dem Netz, brannte es auf CD und schob es dem alten Gerät unter - ähhh - ich meine natürlich "in das CD-Laufwerk". Dafür musste ich erstmal das BIOS-Setup aufrufen und entdeckte dabei zu meiner Überraschung, das sich das per PS2-Maus bedienen lässt. Welche ein fortschrittlicher Kram! Grandios! Also die Bootreihenfolge eingestellt und Start von CD.
Damn Small Linux ist dann auch fröhlich gestartet und ich hatte nach 3 Minuten ein funktionierendes Live-Linux mit grafischer Oberfläche vor mir. Ab mit dem Fritz-Stick in die USB-Dose und per Ndiswrapper die Netzwerkverbindung gestartet, nachdem ich mir vorher den Treiber dafür auf die Platte kopiert hatte. Die Netzwerkverbindung klappte dann auch, aber nicht mit einer WPA2-Verschlüsselung zum normalen Router. Also einen alten Router zusätzlich ohne Verschüsselung dazu gebaut und dann hatte ich tatsächlich eine funktionierende Verbindung in die große weite Welt.
Das konnte nicht so bleiben, ich brauchte eine drahtlose Verbindung mit WPA-Verschlüsselung, damit nicht immer der Zusatzrouter stehen bleiben musste. Also neuer Versuch mit Damn Small Linux N. Dessen Kernel ist etwas neuer und hat deswegen schon WPA an Bord, aber dafür war kein Ndiswrapper dabei. Auch Müll ...
Viel lesen im Internet und weiter mit Tiny Core Linux. Das sah auch viel versprechend aus, konnte es aber ebenfalls nicht. Wieder viel lesen und neuer Versuch mit Puppy-Linux in der neusten Version mit einem Kernel, der WPA kann. Allerdings endete der Versuch schon beim Laden des Kernels mit der Fehlermeldung, das der Prozessor zwei Maschinenbefehle nicht beherrsche. Sch ....
Von diesem Phänomen hatte ich noch nie gehört und wollte nun wissen, was es damit auf sich hat. Die Erkenntnis daraus: das Betriebssystem muss mit einem bestimmten "Flag" für alte Prozessoren compiliert werden. Da war doch was? Hatte ich da bei Puppy nicht irgendwas gelesen? Noch mal nachlesen und tatsächlich: diese neuere Puppy-Linux-Ausgabe gibt es auch in der Version Wary extra für so alte Schätzchen. Also ab zum Download und neuer Versuch.
Dieser Versuch war von Erfolg gekröhnt und ich hatte ein Live-Linux vor mir mit funktionierender grafischer Oberfläche und konnte eine drahtlose Verbindung zu unserem normalen Router herstellen. Allerdings: alles funktionierte sehr sehr sehr zäh, ab einem Mausklick zum Start von Seamonkey (Internetbrowser) bis zur fertigen Oberfläche des Browsers konnte schon mal 10 Minuten vergehen. Und bis ich eine einfache Internetseite wie meine eigene Startseite vor mir hatte, dauerte es noch einmal so lange.
Ein einfacher Test mit dem Befehl top ergab: die 64 MByte Speicher waren randvoll. Es war schon erstaunlich, dass ich mit dem bisschen Speicher überhaupt so weit gekommen war. Aber mein Ergeiz war geweckt: hier hatte ich eine funktionierende Linux-Distribution und damit wollte ich das Notebook zum flüssigen Arbeiten bewegen. Auf nach Hollywood!
Nein, das war dann doch nicht die beste Adresse, ich versuchte es mit einer international bekannten Auktionsplattform und hatte 10 Tage später und um 22 Euro ärmer einen 128 MByte-Speicherriegel in der Hand. Und dann eine Stunde lang am Gerät und im Internet den Schlitz dafür gesucht: er befindet sich unter dem Prozessorkühler, den man dafür von der CPU abschrauben muss. Kein Witz, das ist wirklich so. das hat den Vorteil, dass man das Gerät besser kennen lernt ...
Überraschung beim Ausbau des alten Riegels: der hat nur 32 MByte. Überraschung nach dem Einschalten: der Rechner hat jetzt 160 MByte Speicher. Mit anderen Worten: es sind irgendwo 32 Mbyte fest eingelötet. Macht ja nix, Hauptsache, es funktioniert und etwas mehr Speicher kann ja nicht schaden.
Das Live-System fühlte sich schon viel besser an und der Test mit "top" ergab, dass der komplette Inhalt der CD sich im Arbeitsspeicher befand. Ich konnte die CD sogar entnehmen. Die Zeiten von oben halbierten sich, ich konnte damit schon arbeiten. Die erste Arbeit war dann auch die Partitionierung der Festplatte in die üblichen 3 Teile: 1 Gbyte für /, 2 Gbyte für /home und 200 MByte für /swap, als Dateisystem konnte Puppy sogar schon EXT4 anbieten. Anschließend Installation auf die Systempartition. Reboot, Umstellen der Bootreihenfolge und schon startete Puppy von der Festplatte. Und wie schon vorher auf Englisch ...
Schön gelöst: es gibt für alles "Wizards", die alles in der richtigen Reihenfolge abfragen und entsprechend einrichten, Sofern man Englisch kann, ist die Einrichtung einer funktionierenden Puppy-Linux-Version tatsächlich ein Kinderspiel. Geile Wurst! Alles eingestellt und ich landete wieder auf dem Desktop, auf dem die Zeiten sich wieder deutlich fühlbar verkürzt hatten. Jetzt die Sprache: der zuständige Zauberer erklärte mir, dass ich dafür die Zeichenkodierung auf UTF-8 umstellen muss, was ich auch brav machte, worauf der sich wieder meldete mit dem Angebot, eine deutsche Sprachversion zu installieren. Na klar und ich hatte ja eine funktionierende Internet-Verbindung. 10 Minuten später war Puppy eingedeutscht, nahezu komplett und in gutem Deutsch. Klasse!
Nächstes Problem: ohne freie USB-Buchsen ist der Rechner immer noch schlecht zu gebrauchen. Also ab ins Auktionshaus und ein bisschen suchen. Eine PCMCIA-Karte mit 2 USB-Buchsen war schnell gefunden und für einen "Appel" zu haben. Bei der Gelegenheit habe ich dann auch nach einer WLAN-Karte für den Cardbus-Anschluss gesucht und genauso schnell gefunden, Preis ein "Ei". Und so hatte ich dann 14 Tage später zwei passende Karten für 'n Appel und 'n Ei in der Hand bzw. kurz danach im Rechner. Rechner hochfahren, WLAN-Einstellungen neu machen und beides funktionierte.
Das ist ja das Schönste überhaupt mit Linux: wenn ein Gerät dem Kernel bekannt ist - was bei alter Hardware zu 100% stimmt - dann braucht man die Hardware nur anschließen und alles geht. Keinerlei Aufforderung der Art: "unbekannte Hardware gefunden. Soll Windows nach Treibern für die neue Hardware suchen?" Was bei mir zu ebenfalls 100% nicht funktionierte.
Mit dieser Konfiguration kam mir der alte Rechner schon viel vollwertiger vor, nur die Reaktionszeiten stimmten noch nicht. Top zeigte eigentlich wenig CPU-Auslastung an, aber ein kleiner Test brachte das letzte Problem an den Tag.
Ich lud mir ein stinknormales MP3-Musikstück aus dem Server auf diesen Rechner und wollte es abspielen. Leider funktionierte der PMplayer überhaupt nicht richtig und deshalb musste MPG123 auf die Kiste. Ab in die Kommandozeile und mpg123 musikstueck.mp3
. Damit spiele das Stück, aber heftig unterbochen. Nun ist bekannt, dass MPG123 so effektiv arbeitet, dass MP3-Dateien sogar auf einem 100 MHz-Rechner abgespielt werden, warum also nicht auf einem Computer, der 3mal so schnell ist? Es musste also etwas im Arbeitsspeicher sein, dass die CPU ausbremst.
Für die Diagnose habe ich dann HTOP installiert, das ist die Luxus-Variante von TOP und die zeigt eine Art Balken für die CPU-Auslastung an. Dieser Balken zuckte dann auch alle 3 Sekunden heftig in den 100%-CPU-Bereich rein. Jetzt war es für mich leicht, mit HTOP einzelne Prozesse zu killen und gleichzeitig die Auslastung zu beobachten. Zuerst hatte ich die Tray-Anzeigen im Verdacht: eine zeigt laufend die Rechnerbelastung an, eine zweite die Festplattenkapazität, die dritte gibt Auskunft über die Netzwerkverbindung und alle drei natürlich grafisch - ein Indiz für Rechenzeitverbrauch.
Aber all drei waren nicht die Übeltäter, es war ein Prozess namens pup_event_frontend_d, der in HTOP nicht mit irgendwelcher Rechenzeit auftauchte, aber nach dem KILL dieses Programms war die CPU nahezu arbeitslos. Ein wenig suchen nach der Aufgabe ergab: pup_event_frontend_d ist für die Überwachung von Ereignissen zuständig, wie "Einstecken von USB-Sticks" und "Laden von CDs". Diese Funktionen hatte ich da schon ausprobiert und das funktioniert gut, aber wenn es derart Rechenzeit kostet, dann ist es unbrauchbar. Außerdem kann ich das auch per Hand. Also habe ich die zuständige Datei aufgesucht und den Start von diesem Tool unterbunden.
Seit diesem Zeitpunkt ist der Rechner absolut flüssig zu bedienen. Ich gebe ja zu: wenn man jeden Tag vor einem 4-Kern-Prozessor sitzt mit 3 GHz-Takt, unterstützt von 6G-Sata-Platten und einer Highend-Grafikkarte, dann ist der Ausdruck "flüssig" in etwa mit der Konsistenz von Honig zu beschreiben. Aber immerhin: am Beginn meines Experiments war der Honig noch 10 Jahre alter Kunsthonig, jetzt ist es Honig frisch aus der Schleuder. Und den kann man doch gut trinken, oder?
Fazit: hier irrt die Bibel!
Denn dort steht (Matthäus 9,17): "Auch gießt man nicht neuen Wein in alte Schläuche. Sonst zerreißen die Schläuche, der Wein wird verschüttet, und die Schläuche sind verdorben." Dieser alte Schlauch funktioniert recht annehmbar mit dem neuen Wein ...
Was kann man mit diesem alten Teil überhaupt machen?
Im Internet surfen. Dazu muss man den Firefox installieren, AdBlock-Plus und Flashblock hinzufügen und den Adblock-Filter mit einigen Seiten rigoros erweitern. Damit reduziert Adblock die Ladetätigkeit immens und der Flashblocker lädt Multimedia-Dateien gar nicht erst, die der Rechner sowieso nicht abspielen könnte. Außerdem ist er gut für Büroarbeiten, Homebanking, alles, was mit Audio zu tun hat und er ist als kleiner Server gut geeignet. Wobei man gegebenenfalls den Speicherplatz mit einem USB-Stick vergrößern muss. Und : man kann damit gut Linux lernen ...
Nachteile
Puppy-Linux hat einen großen Nachteil: es ist nur vorgesehen, als root damit zu arbeiten. Damit widerspricht Puppy dem Sicherheitskonzept von Linux. Und natürlich hat es mich dazu gebracht, dieses Linux-Derivat umzustricken, so dass ich auch als normaler User damit arbeiten kann. Und das habe ich auch geschafft. Man lernt sehr viel ...