Tag 25 - Sonntag
Seit halb sechs bin ich im Halbschlaf, weil nebenan ein kleines Kind heult. Außerdem regnet es! Auf diesem Campingplatz gibt es einen kleinen Frühstücksraum mit Spülbecken, Mikrowelle, Wasserkocher und Toaster. Bei diesem Wetter ist das äußerst angenehm und hilft, Spiritus zu sparen. Dort treffe ich zwei 17jährige aus Leverkusen, die hier wandern und wir unterhalten uns. Es ist das erste Mal nach 2 Wochen, dass ich wieder deutsch spreche, ich träume ja inzwischen schon auf englisch.
Um 11 tröpfelt es nur noch und ich fahre los. Zuerst versuche ich noch,das nördliche Ende von General Wades Militärstraße zu finden, aber es fängt wieder an zu regen und ich beschließe, dass mich die Straße nicht mehr interessiert, ich will nur noch nach Hause ins Trockene: also ab nach Fort William.
20 Minuten später ist es wieder trocken und ich fahre weiter. Zuerst über eine Brücke des Kanals, dann erforsche ich, ob ich den Weg auf der Nordseite des Loch Lochy auch mit dem Roller befahren kann. Aber der Great Glen Way ist Wanderern vor- behalten. Also wieder zurück und weiter auf der A-Road. Am Ende dieses Lochs steht direkt an der Straße das Commando Memorial, eine Gedenkstätte für die "Offiziere und Mannschaften, die während es 2. Weltkrieges starben, dieses Land war ihr Trainingsstätte".
Hier kreuze ich den Kanal wieder und fahre auf der Nordseite Nebenstraßen entlang in ein Abzweigtal, in dem das Loch Eil liegt. Am Ende dieses Sees kann man in Glenfinnan ein Eisenbahnviadukt besuchen, das schon um 1900 gebaut wurde. Gegenüber entdecke ich The Glenfinnan Monument, dort steht seit 1815 ein echter Highlander im Kilt auf einem Turm im feuchten Wetter und erinnert an irgendein für die Schotten wichtiges Ereignis.
Für die Fahrt zurück habe ich den Weg auf der Westseite von Loch Eil und der Nordseite von Loch Linnhe ausgeguckt. Am Ende des letzteren gibt es eine Fähre über das Wasser, das hier bereits dem Atlantik entstammt - eigentlich könnte ich mal wieder eins von den wenigen Fährenbildern machen. Aber ich fahre seit 15 Kilometern auf Reserve und die Karte verrät mir, dass mein Wunschweg etwa 40 Kilometer lang ist. Das ist mir zu riskant und deshalb fahre ich ganz einfach auf direktem Weg nach Fort William. Vorher schaue ich mir noch die Schleuse am Westende des Caledonian Canal in Banavie an. Allerdings sind die 8 Schleusenbecken in Reihe - Neptuns Staircase - so einfach fotografisch nicht einzufangen und ich wende mich dem Nationalberg der Schotten zu, dem Ben Nevis oder "The Ben", wie er hier genannt wird, mit 1344 Metern der höchste Berg der britischen Inseln. Aber auch hier kann ich wenig mitnehmen, nur was die tiefhängenden Wolken übriglassen.
In Fort William mache ich wie üblich in der Fußgängerzone Pause und schreibe meine Pflichtpostkarten. Und dazu muss ich noch was erzählen: Das Geburtstagsgeschenk meiner Kinder bestand aus einem Bogen Aufkleber, die wie Briefmarken aussahen, aber als Bild meinen Kopf hatten und als Wertzeichen ein "1st". Alle Überzeugungskraft meiner Kinder war nötig, mir glaubhaft beizubringen, dass es sich dabei um echte gültige Briefmarken der britischen Post handelt, ein Service, den man via Internet bestellen und bezahlen kann. Diese "Briefmarken" klebe ich jetzt auf die Postkarten und vertraue auf die Kinder. So ganz glauben kann ich das mit dem "gültige Marken" immer noch nicht, ich habe doch selbst zu oft in Kapitän-Blaubär-Art den Kindern den größten Blödsinn mit ernstester Miene erzählt ...
Nach der Pause und dem Tanken mache ich mich auf den Weg: erst zu der bereits erwähnten Fähre und dann zum Loch Leven, das auf der Südseite des Ben Nevis liegt. Der Campingplatz bei Glencoe ist nicht weit von der Hauptstraße entfernt, aber weil es noch früh am Tag ist, fahre ich einmal fast rum um Loch Leven. Eine tolle Straße, genau richtig, um mit solchen Fahrzeugen, wie dem meinen, Rennen zu fahren. Gute Fahrbahn, enge Kurven, reichlich rauf und runter, aber nicht zuviel für diese PS-Klasse. Äußerst bedauerlich, dass ich wegen des Gepäcks die Kurven nicht ausfahren kann. Andererseits gut, denn seit der Fähre regnet es wieder!
An der Nordseite des Loch Leven liegt die Straße direkt am Wasser, auf der Südseite war der Bau am Wasser wegen der steilen Felsen nicht möglich, hier liegt die Fahrbahn im Berg, entsprechende Steigungen und Gefälle sind die Folge. Die Gefälle sind derartig steil, dass es mir schon viel Mut und Rollervertrauen abfordert, das Gas stehen zu lassen ...
Kurz vor Glencoe - in meiner Fahrtrichtung gesehen - hat es irgendwann in grauer Vorzeit einen Bergrutsch gegeben. Die entstandene Muräne trägt jetzt den Campingplatz, der dadurch direkt am Wasser liegt. Hier schlage ich für die Nacht mein Lager auf.
Direkt am Wasser leben auch am liebsten die Viecher, die man Midges nennt, hier ist es die "Highland Midge ",die zu den beißenden zählt, kleine Fliegen, die in Massen hier in der Luft schweben und sich auf alles stürzen, was irgendwie nach Blut riecht. Die Platzbewohner mit Erfahrung laufen hier wie Imker herum, mir fehlt die entsprechende Ausrüstung. Aber schnell lerne ich, dass ein langsam gehender Fußgänger schneller ist, als die Midges fliegen können. Also gehe ich am Wasser spazieren.
Das Loch Leven ist "Tidegewässer" (es gibt Ebbe und Flut), es ist direkt mit dem Atlantik verbunden. Die Stelle des Sees, an der ich mich befinde, ist durch den Erdrutsch eng und deshalb fließt das Wasser hier mit etwa 4 Knoten vorbei. Das lockt die Lachse an, sie stellen sich einfach in der Engstelle in die Strömung und lassen sich das Essen ins Maul schwimmen. Das wissen aber auch die Angler ....
Später im Zelt lerne ich noch etwas über die Midges: die Hersteller von Zelten haben keine Ahnung, wie klein diese Tiere sind, denn die Fliegen sind kleiner als die Insektengaze des Zeltes. Zum ersten Mal rauche ich im Zelt, das hilft!